Der Stein des Weines
Manche unter uns kennen sicher noch den Werbespruch: im XXX ist der Geist des Weines. (Welches Produkt war’s?) Hier geht es um etwas Konkreteres, den Weinstein. Weinliebhaber kennen ihn, wenn sie die letzte Neige eines Weines sich einschenken. Und dann am Glasboden eine Sammlung kleiner Kristalle entdecken – bzw. beim unvorsichtigen Trinken gleich mit dem Wein in den Mund spülen.
Weinstein ist zunächst das Resultat einer fortgesetzten chemischen Reaktion im Wein. Und da er schwer wasserlöslich ist, fällt er im Wein u.U. aus, besonders, wenn der Wein kühl gelagert wird (was er ja soll) und die Aufnahmekapazität und Löslichkeit im Wein damit noch geringer ist. Weinstein ist letztlich das Ergebnis einer chemischen Reaktion der Weinsäure mit im Wein enthaltenen metallischen Elementen, vornehmlich Kalium und Kalzium. Das Ergebnis im Chemiejargon heißt Kaliumbitartrat bzw. Kalziumtartrat. Winzer nennen es poetischer Weinsterne.
Weinstein ist völlig ungefährlich – das ersieht man schon daraus, dass er ein beliebtes Triebmittel in der Backkunst ist. Aber sagt sein Auftauchen in Flasche und Glas etwas über die Qualität des Weines aus? Die überwiegende Meinung lautet: nein. Weinstein sei kein Indikator, weder für gute noch schlechte Qualität des Weines. Aber stimmt das wirklich?
Wieviel Weinstein sich im Wein entwickelt hängt u.a. vom Mineralgehalt des Leseguts ab. Künstlich gedüngte Rebstöcke nehmen mehr Wasser auf, die Mineralien in den Trauben werden sozusagen verdünnt. Sodann: Die Reife des Leseguts entscheidet in zweierlei Hinsicht über den Mineralgehalt: Trauben, die länger am Stock hängen, nehmen mehr Mineralien auf und konzentrieren sie zugleich aufgrund des Wasserverlustes. Reifere Trauben = mehr Mineralität: So könnte der Weinstein doch ein indirekter Indikator für die Weinqualität sein.
Weinstein vom Wein zu trenne ist ganz einfach: durch Dekantieren des Weines in eine Karaffe bleibt der Satz in der Flasche – und der (Rot-)wein bekommt gleich noch etwas Sauerstoff ab – bekanntlich muss ja Rotwein atmen, dass er sich geschmacklich entwickeln kann. Manche Karaffen haben im Ausguss einen Filtereinsatz, der den Weinstein zurückhält – falls doch einmal welcher durchgerutscht ist.
Auch Goethes Mephisto wusste dem Weinstein Gutes abzugewinnen. Im ersten Akt des zweiten Teils entfaltet er vor dem versammelten Kaiserhof die Vision der ungehobenen Schätze, die im Boden des Reiches schlummern. Dazu gehören auch alte Weinessenzen:
Daneben liegt uraltes Nass.
Doch – werdet Ihr dem Kundigen glauben –
Verfault ist längst das Holz der Dauben,
Der Weinstein schuf dem Wein ein Fass. (Goethes Faust 2. Teil, VV 5023 ff)